Propagationsversuche bei Lithium-Ionen-Batterien
Was versteht man unter einer Propagation?
Wenn bei einer Lithium-Ionen-Batterie eine Zelle eines Zellverbundes in den Thermal Runaway (TR) fällt (was bedeutet, dass sie sich selbst weiter erhitzt, ohne dass von außen Energie zugefügt wird) kann sich, durch die thermische Kopplung zur Nachbarzelle, die Nachbarzelle ebenfalls so erhitzen, dass auch sie in den Thermal Runaway gelangt.
Dies kann sich unter ungünstigen Bedingungen durch den kompletten Zellverbund durchsetzen, was bedeutet, dass Zelle um Zelle in den Thermal Runaway gelangt und das Batteriesystem vollständig durchpropagiert.
Das kann dann zum kompletten Brand der Batterie oder gar zur Explosion führen.
Wie kommt es zu einem Thermal Runaway einer Zelle?
Moderne Lithium-Ionen-Batterien können als absolut sicher betrachtet werden. Heute im Markt befindliche Batteriesysteme haben meist unzählige Sicherheitstests vor der Markteinführung bestanden.
Nahezu alle Batteriesysteme verfügen über ein sogenanntes Batterie-Management-System (BMS) welches den sicheren Betrieb gewährleistet. Ein solches BMS überwacht alle einzelnen Zellspannungen, Zelltemperaturen, Ladeströme und andere wichtige Parameter und stellt so sicher, dass es zu keiner Überladung oder zu einem Betrieb der Zellen außerhalb des zugelassenen Temperaturfensters von Zellen kommt.
Allerdings gibt es auch Zellfehler, die nicht von außerhalb kontrolliert werden können. Ein Beispiel hierfür ist das Bilden von sogenannten Dendriten.

Beim Altern einer Zelle bilden sich über die Jahre kleine Berge auf der Lithium-Anode.
Diese können den Separator zwischen Anode und Kathode durchstoßen und so einen Kurzschlusspfad bilden, wodurch es zu einer exothermen Reaktion der Zelle kommen kann, die von außen nicht mehr unterbunden werden kann. Das kann dann bei einer Zelle zu einem Thermal Runaway führen, der sich durch einen kompletten Zellverbund fortpflanzt.
Aber auch andere Szenarien sind denkbar, wie Schweißperlen, die bei der Produktion zwischen zwei Zellen gelangen und durch Reibung einen Kurzschluss verursachen könnten.
Warum sind Propagationsversuche so wichtig?
Es ist für den sicheren Betrieb von Lithium-Energiespeichern wichtig zu wissen, wie sich ein Speicher bei dem Durchgehen einer Zelle verhält oder wie man eine Propagation verhindern kann.
Durch den Einsatz verschiedener thermisch isolierender Werkstoffe zwischen den Zellen ist es zum Beispiel möglich, eine Propagation zu verhindern oder zumindest so zu verlangsamen und einzudämmen, dass kein Feuer außerhalb des Speichergehäuse auftritt oder es nicht zu einer Explosion, sondern zum gezielten Ausgasen kommt.
Die Funktionstüchtigkeit solcher Materialien oder Vorkehrungen können durch einen Propagationsversuch nachgewiesen werden. Propagationsversuche helfen auch dabei, während der Entwicklung die richtigen Materialien oder Vorkehrungen auszuwählen und zu verbessern.
Selbst wenn es aus diversen Gründen es nicht möglich sein sollte, eine Propagation zu verhindern, können durch solche Versuche Erkenntnisse über den Verlauf der Propagation eines Speichers gewonnen werden. Daraus können dann Sicherheitsmaßnahmen für den späteren Aufstellungsort und für den Umgang abgeleitet werden.
Sicherheitstechnische Anforderungen an Batterien
Je nach Standard werden spezifische Kriterien wie zum Beispiel eine Warnung vor einer nahenden Propagation oder die absolute Verhinderung einer möglichen Propagation, aber auch lediglich das Verhindern einer Explosion.
- Die ECE R 100 (Fahrzeugbatterien) fordert zum Beispiel, dass Fahrgäste 5 Minuten vor einer möglichen Propagation gewarnt werden
- Die IEC 62619 (Stationärspeicher) fordert entweder kein Feuer außerhalb des Gehäuses oder in einem vom Hersteller festzulegendem Areal rund um den Speicher
Nur durch die Durchführung fachgerechter Propagationsprüfungen kann das Wissen erzeugt werden, wie sich ein Speicher bei einem Super-GAU verhalten würde.
Wie werden Propagationsversuche durchgeführt?
Bei einem Propagationsversuch muss eine sogenannte Triggerzelle zum Thermal Runaway getrieben werden. Hierzu werden aktuell verschiedene Methoden angewendet.
Die Methodik soll möglichst real einen internen Kurzschluss in der Zelle simulieren und den Versuch nicht weiter beeinflussen. Und genau darin liegen die größten Schwierigkeiten.
Überladen
Die einfachste Methode ist das Überladen einer einzigen Zelle bis zum TR. Hierbei wird allerdings deutlich mehr Energie beim Eintritt in den TR erhalten sein als in der Realität und der TR kann somit deutlich heftiger ausfallen als es in der Wirklichkeit passieren würde.
Zusätzlich müssen Leitungen mit stärkerem Querschnitt in das Batteriegehäuse eingebracht werden, wodurch Flammen oder Rauch durch diese Öffnungen austreten könnten.
Auch gibt es Zellen mit eigenem Überladeschutz (CID), die sich durch Überladen überhaupt nicht in einen TR bringen lassen.
Nageln
Das Eintreiben eines Nagels in eine Zelle ist eine der sichersten Methoden einen TR auszulösen. Problem ist, dass die Apparatur, die den Nagel eintreiben soll, stark genug sein muss, um auch das Gehäuse der Batterie durchdringen zu können.
Alternativ kann auch ein Loch in das Gehäuse zum Eindringen des Nagels vorgesehen werden, aus dem aber dann auch wieder Feuer oder Gase austreten können, die sich durch Funkenbildung außen entzünden könnten.
Laserbeschuss
In einigen Standards wird der Beschuss einer Zelle mittels Laser vorgeschlagen. Dies mag zwar eine sichere Methode zur TR-Erzeugung darstellen, ist aber in der Praxis oft schwer durchzuführen (aufgrund des mechanischen Aufbaus im Gehäuse etc.)
Zusätzlich stellt ein solcher Laser einen hohen Kostenfaktor dar.
Heizen
Die derzeit wohl meistgenutzte Initiierungsmethode ist das Heizen einer Zelle. An der Triggerzelle wird eine möglichst kleine Heizfolie angebracht, die mit maximaler Leistung mit einer konstanten Heizrate, meist zwischen 5 und 10 K/s, erhitzt wird.
Durch den Betrieb der Heizfolie mit einer hohen Spannung (bis weit über 400 V) kann man schon mit einem geringen Strom sehr hohe Heizleistungen erreichen. Hierdurch können Leitungen mit geringem Querschnitt genutzt werden; die deutlich einfacher in ein Batteriesystem eingebracht werden können.
Was ist zu beachten?
Eine der Schwierigkeiten ist das Erkennen des Eintretens des TR. Ab diesem Zeitpunkt sollte keine weitere Energie in das System eingebracht werden.

Allgemein gilt als Erkennungsmerkmal ein Spannungsdrop der Triggerzelle und/oder ein Ansteigen der Erwärmungsrate (K/s).
Eine andere Methode zur frühzeitigen Erkennung ist die Impedanzspektroskopie. Bei dieser ist eine sprunghafte Änderung der Impedanz erkennbar, sobald es zwischen zwei Layern des Wickels einer Zelle zu einem Kurzschluss kommt. Dieser interne „Kurzschlussstrom“ sollte dann zu einer Eigenerwärmung der Zelle führen.
Der aktuell von cetecom advanced intern entwickelte Propagationsprüfstand erlaubt eine frei einstellbare Heizrate und benutzt alle drei Möglichkeiten der Erkennung eines Durchbruchs eines Separators:
- Ansteigen der Erwärmungsrate
- Spannungsabfall und
- Impedanz.

Das System ist so konfigurierbar, dass das externe Einbringen von Energie mittels Überladens oder Heizen innerhalb von 200 ms gestoppt wird, sobald eines der Kriterien detektiert wird oder auch eine Kombination der drei Kriterien.
Somit kann sichergestellt werden, dass bei der Durchführung von Propagationstests die Triggerzelle sicher und reproduzierbar intern beschädigt wird.
Es wird keine weitere Energie eingebracht und so eine deutlich realitätsnähere Versuchsdurchführung erreicht, da die Zelle nicht übermalträtiert wird, was zu unrealistisch heftigeren Reaktionen des Gesamtsystems und somit einer „Übertestung“ führen könnte.
